Eine Frage der Toleranz - Lessings "Nathan der Weise"
Besuch der Klassen 10a und 10e im Münchner Volkstheater
Beim Theaterbesuch der Klassen 10a und 10e im Münchner Volkstheater am Mittwoch vor den Frühlingsferien zeigte sich die Aktualität des Dramas „Nathan der Weise“ von G.E. Lessing: Der Ansturm auf die Inszenierung von Theaterleiter Christian Stückl war so groß, dass bereits vor der Uraufführung zehn weitere Aufführungen ausverkauft waren.
Eine kahle Bühne erwartete uns im Volkstheater: Der Bühnenboden war Sanddünen gleich aufgewühlt, nur die angedeuteten Festungsmauern und ein Lagerfeuer deuteten die Szenerie der Kreuzzüge an. Die Inszenierung war so ganz konzentriert auf die Protagonisten und dadurch auch auf die sehr werkgetreue Textvorlage. August Zirner als Nathan zeigte sich als wahrlich weise: Skeptisch und realitätsnah versucht er, den Toleranzgedanken der Aufklärung zu leben, wie in der Freundschaft zum schwärmenden Tempelherrn und dem in sich gekehrten Saladin deutlich wird. Nicht die Religion, sondern der Charakter eines Menschen ist für ihn das entscheidende Kriterium. Ganz im Gegensatz zu den „Hardlinern“ der Religionen – der Patriarch als verzerrtes Schreckgepenst, das seine Hasspredigten herausbrüllt und Melek, der in einem Fundamentalismus seinen Bruder Saladin mit ganzer Schärfe auffordert, die Religion mit aller Härte gegen andere Religionen zu verteidigen. Hier vermag auch Nathan selbst mit seiner Ringparabel nicht mehr zu vermitteln: Statt der Umarmung der Protagonisten der drei Religionen lässt Stückl am Ende der dreistündigen Inszenierung Nathan einsam, nachsinnend und sich eine Zigarette anzündend auf der Bühne stehen. Die eingeblendeten Filmszenen von Kriegen mit Gottes Segen bestätigen Nathans Resignation nur allzu deutlich.
Ein langer, intensiver und beeindruckender Theaterabend lag hinter uns. Drei Stunden, die durch die Textlastigkeit viel von den Zuschauern abverlangten, doch auch durch das intensive Darstellen der Charaktere begeisterten.
Andreas Hollick, Deutschlehrer
Fotos copyright Arno Declair