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"Mensch, werde wesentlich!" - Lyrik einmal anders

Der Künstler und Philosoph Christoph Kujawa lässt IKG-Oberstufenschülerinnen und -schülern Gedichte der Romantik und des Expressionismus ganz neu erleben

HP2.JPG"Schläft ein Lied in allen Dingen, / die da träumen fort und fort - / Und die Welt hebt an zu singen, / triffst Du nur das Zauberwort." Einer, der das Zauberwort trifft, um die Romantik, für die dieses Eichendorff-Gedicht wie kaum ein anderes steht, zu vermitteln, ist Christoph Kujawa. Der "bedächtige Interpret, einfühlsame Sänger und elegante Gitarrist" kam ans Ignaz-Kögler-Gymnasium, um die Oberstufenschülerinnen und -schülern Lyrik ganz neu erleben zu lassen.

Dabei zeigte er mit zwei direkt aufeinander folgenden Veranstaltungen eine erstaunliche Bühnenleistung:  "Die Romantik in Liedern & Gedichten"  führte die Schülerinnen und Schüler der Q11 durch die Ideengeschichte jener Epoche. Kujawa ließ nicht nur bedeutende Zeitgenossen wie Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Schiller und die Gebrüder Schlegel sprechen, sondern auch die Französische Revolution als prägenden historischen Hintergrund deutlich werden. Dabei setzte er sich mit romantischen Klischees, dem Bedürfnis nach einer gefühlvolleren Sprache und der Romantik als Weltanschauung bzw. Geisteshaltung auseinander. Seinen Vortrag illustrierte und untermalte der Künstler mit Liedern auf der Grundlage romantischer Gedichte von Eichendorff ("Wünschelrute", "Mondnacht"), Brentano ("Hörst du wie die Brunnen rauschen", "Singet leise, leise, leise", "Abendständchen"), Heine ("In meiner Erinnerung", "Sie saßen und tranken am Teetisch", "Ich hab im Traum geweinet", "Das Fräulein stand am Meere") sowie Novalis ("Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren") und Tieck ("Mondbeglänzte Zaubernacht").


HP1.JPG"Mensch, werde wesentlich!", hieß es im direkten Anschluss daran für die Schülerinnen und Schüler der Q12, denen Christoph Kujawa die Epoche des Expressionismus näher zu bringen versuchte.

"Seit etwas mehr als hundert Jahren wissen wir, wie das Weltende aussieht", führte Schulleiterin Ursula Triller dazu in ihrer Begrüßung aus und zitiert das gleichnamige Gedicht von Jakob von Hoddis aus dem Jahr 1911: "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut / In allen Lüften hallt es wie Geschrei / Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei / Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut // Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken / Die meisten Menschen haben einen Schnupfen / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken." In visionärer Untergangsstimmung habe Jakob von Hoddis die Geschichte des 20. Jahrhunderts vorausgesehen: Krieg, Vernichtung, die Auflösung der Ordnungen - und mit diesem Gedicht Literaturgeschichte geschrieben: "Seine Worte übten einen ungeheuren Eindruck auf die Berliner Bohème der Weimarer Republik aus, sie trafen den Nerv der Zeit. Wer etwas auf sich hielt, lernte den Text auswendig und rief ihn anderen - wie eine Losung - auf der Straße zu." Nicht von ungefähr sei "Weltende" zum Inbegriff der literarischen Epoche des Expressionismus geworden.

Diese einführenden Gedanken griff Kujawa denn auch sogleich auf und führte die angehenden Abiturienten durch ein dicht gewebtes, anspruchsvolles Programm, das die tiefen Verunsicherungen, ja Erschütterungen, denen sich der Mensch um die Wende zum 20. Jahrhundert ausgesetzt sah, deutlich werden ließ: Die rasanten Entwicklungen durch die modernen Wissenschaften, Industrialisierung, Entgötterung der Welt, das beängstigende Anwachsen monströser Großstädte, die geradezu apokalyptische Vorahnung auf den 1. Weltkrieg, das Erleben und Erleiden desselben. Auch hier konnte Kujawa wieder in einer gelungenen Mischung aus Vortrag und künstlerischen Einlagen deutlich machen, worum es eigentlich im Expressionismus geht: Das Leiden des Menschen an der Moderne, am plötzlichen Sinnverlust, an seiner Ohnmacht. Das Aufdecken und Enttarnen all dessen, was mit einem Mal fragwürdig, verloren, morsch und hohl erscheint. Der Versuch radikaler Ehrlichkeit. Die Suche nach echtem Neuanfang. 

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