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Kurzbiographie

Gott und den Sternen - vom Leben des Chinamissionars Ignaz Kögler SJ (1680-1746)

Christian Stücken 

Qianlong, der große Kaiser des chinesischen Reiches, stiftete zweihundert Unzen Silber und zehn Stück kostbarer Seide, als man in den ersten Apriltagen des Jahres 1746 einen seiner Untertanen zu Grabe trug. Dieser Untertan, ein Mann in Diensten des Kaisers, immerhin der Vorsteher der Sternwarte, Mandarin II. Klasse und sogar Beisitzer im Tribunal der Riten, wurde nicht wie die meisten der anderen Mandarine bestattet. Sein Leichnam wurde nach Shala gebracht, denn er war kein Chinese. In Shala, dem kleinen Friedhof im Westen Pekings, wo die Sonne unter- und das Leben zu Ende geht, nahmen die wenigen Europäer, die in Diensten des Kaisers standen, Abschied vom irdischen Leben. Ein Grabstein wurde errichtet, der - als Ausdruck der Würde des Verstorbenen - höher war als fast alle anderen auf dem Friedhof. Die chinesische Inschrift würdigt den Toten als einen aufrichtigen und ehrlichen Mann, die lateinische offenbart, daß Pater Ignatius Kegler Jesuit und Deutscher war, daß er 1716 nach China kam und das Kaiserliche Astronomische Amt 29 Jahre lang leitete. Er war wenige Tage zuvor, am 30. März 1746, im Alter von 66 Jahren, gestorben.

t_mandarin.jpg Ignaz Kögler, so lautet der richtige, der deutsche Name des Verstorbenen, hat seine Nachwelt kaum beschäftigt. Die Chinesen vergaßen ihn schnell, und für Europa war China räumlich und kulturell einfach zu weit entfernt. Eine geistliche Ordensgemeinschaft wie die der Jesuiten war zudem auf eine gewisse Anonymität bedacht, als daß einzelne in den Gesichtskreis breiterer Schichten treten konnten. Zwar wurden noch zu Lebzeiten Köglers Briefe von ihm in Deutschland veröffentlicht, die jedoch ausschließlich in geistlichen Kreisen zirkulierten. So waren es fast ausnahmslos Geistliche, die auf seinen Namen und Lebensweg stießen und ihn mit Leben zu füllen versuchten. Oft fehlte dabei eine angemessene kritische Haltung, meist schien die Zeit knapp, daß voneinander abgeschrieben wurde, und manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß aus Ignaz Kögler ein Held, ein Stern gemacht wurde, den man an den Missionarenhimmel heftete, damit er anderen als leuchtendes Vorbild diene. Wer aber verbarg sich hinter all diesen Titeln und Jahreszahlen, daß sich seine Briefe oft so bemerkenswert aufgeklärt und doch so seltsam emotionslos lesen? Wer war der Mensch Ignaz Kögler, der in seinen Briefen immer wieder über seine gesundheitlichen Probleme klagt und der immerhin so „wenig“ Missionar war, daß er, wie er selbst schreibt, „von der Betrachtung des Himmels weg den Geist nicht leicht zu anderem erhoben“ habe?

Der Landsberger

t_gebhaus.jpgDie Suche nach dem Menschen Kögler führt nach Landsberg am Lech, wo Ignaz Kögler am 11. Mai 1680 geboren wurde. Er war das fünfte Kind von An­dreas Kögler und seiner Frau Elisabeth, die das Haus am Hauptplatz 14/15 in Landsberg bewohnten. Andreas Kögler war erst wenige Jahre vor der Geburt seines Sohnes Ignaz nach Landsberg gekommen. Das Ratsprotokoll und die Kammerrechnung der Stadt Landsberg datieren die Hochzeit des Kürschners Andreas Kögler und der Jungfrau Elisabeth Pfanzelterin auf den 4. September 1673 und vermerken für diesen Tag auch, daß dem Kürschner, der aus Bruneck (Südtirol) gekommen war, das Bürgerrecht verliehen wurde. Die Matrikeln der Kirche nennen den 10. September als Hochzeitstag.

Wenig ist von seiner Kindheit und vom Leben seiner Familie bekannt. Außer ein paar Daten und den Namen seiner Geschwister ging alles Wissen verloren. Insgesamt gebar Elisabeth Kögler zehn Kinder. Drei starben sehr früh, die beiden Töchter Catharina und Maria konnten verheiratet werden, erstaunlich ist aber, daß von den fünf heranwachsenden männlichen Nachkommen nur einer heiraten sollte. Michael, der älteste, war der einzige, und er hatte auch Kinder, allesamt Mädchen, von denen nur die letztgeborene, Febronia Paulina, durchgebracht werden konnte. Die anderen Brüder wurden Geistliche, alle gingen sie verschiedene Wege, und Ignaz wurde Jesuit.


t_jesuitengym.jpgVon Beginn an durchlief er die Ausbildung des Jesuitenordens. Er war Schüler des Jesuitengymnasiums in Landsberg und trat dort auch am 4. Oktober 1696 dem Noviziat bei. Warum die Jesuiten? Warum nicht ein anderer Orden, wie bei seinen Brüdern? Das Verlangen in die Mission zu gehen, so schreibt Kögler 1711, sei der Hauptgrund für seinen Eintritt gewesen. Für viele war das das entscheidende Motiv. Warum er so sehr darauf drängte, in die Mission zu gehen - er bewarb sich offenbar mehrmals beim Ordensgeneral in Rom - ist nicht bekannt. Vielleicht war seine Phantasie durch Erzählungen, Bücher oder Theaterstücke angeregt worden, vielleicht waren es auch die sagenhaften Berichte oder Martyrien der Missionare, die durch die Kollegien geisterten - es mag dahingestellt bleiben. Vielleicht sprang auch etwas von der Aufregung über, als Kaspar Castner SJ, der das Noviziat in Landsberg absolviert hatte, im März 1696 nach China reiste. Betrachtet man es nüchterner, so lassen sich noch einige andere Motive aufzählen: Bildung, sozialer Aufstieg, ein gottesfürchtiges Leben und schließlich die Möglichkeit, etwas von der Welt zu sehen. Bis dahin aber sollte es noch ein langer Weg sein. Zunächst sah der Ausbildungsplan der Jesuiten lange Jahre der Schulung und kontemplativen Sammlung vor. 

t_jkolleg.jpgAn Gymnasium und Noviziat schloß sich gemäß der Studienordnung der Jesuiten, der Ratio studiorum, ein dreijähriges philosophisches Grundstudium an, das in Kurse der Logik, Physik und Metaphysik gegliedert war. Also verließ Kögler seine Heimatstadt als Scholastiker im Dienst der Gesellschaft Jesu, um von 1698 bis 1701 in Ingolstadt sein Philosophiestudium zu absolvieren.

In den Kursen wurden Ethik, Mathematik und Hebräisch grundlegend vermittelt. Aristoteles nahm dabei einen breiten Raum ein. Seine einschlägigen Standardwerke wurden von den Studenten erörtert und kommentiert, wobei sie mehr lernten, sich in Disputationen zu behaupten, als empirisch zu arbeiten. Nur vereinzelt gingen Pro­fessoren über diese Inhalte hinaus. Insbesondere die Astronomen, allen voran Christoph Scheiner SJ, stellten eigene Beobachtungen an, um Aristoteles' Schrift „De caelo“ zu überprüfen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Vermutlich wurde Kögler auf diesem Weg mit der Astronomie vertraut gemacht, zunächst aber meisterte der Landsberger am 9. Juni 1699 die erste Station auf seinem Weg zum Priesteramt und erhielt in Eichstätt die vier niederen Weihen.

Nach Abschluß des Philosophiestudiums verschlug Kögler der Ordensgehorsam zunächst nach Amberg, wo er bis 1704 blieb und am Gymnasium Grammatik lehrte. Die Anwesenheit Köglers dort wurde für ein Jahr unterbrochen, das er als Lehrer in Regensburg verbrachte, dann kehrte er nach Amberg zurück, um sein Theologie­studium aufzunehmen. Für das letzte Jahr seines Studiums ging er 1708 wieder nach Ingolstadt. Im Jahr darauf, also 1709, empfing Kögler in Eichstätt die höheren Weihen und wurde schließlich, nachdem er fast dreizehn Jahre der Gesellschaft Jesu angehörte, am 25. Mai zum Priester geweiht.

t_jebersberg.jpgDas Tertiat verbrachte Kögler am Kolleg in Ebersberg, und anschließend wurde er innerhalb des Ordens als Lehrer und Seelsorger eingesetzt. 1710 kam er nach Rottweil und im darauffolgenden Jahr in die Schweiz, nach Freiburg. 1712 wurde Kögler wieder nach Ingolstadt zurückberufen, diesmal an die Universität als Professor für Mathematik und Hebräisch. Auch dort war sein Aufenthalt von kurzer Dauer, und doch markierten die beiden Jahre in Ingol­stadt eine wichtige Station in seinem Leben. Als Professor an der Universität dürfte nicht nur sein Ansehen innerhalb des Ordens ge­stiegen sein, sondern er dürfte auch Kontakte zu anderen Gelehrten inner- und außerhalb des Ordens geknüpft haben.

In diese Zeit fallen auch die vier Gelübde, die Kögler am 2. Fe­bruar 1714 ablegte. Vor­aussetzung war nicht nur ein Mindestalter von dreiunddreißig Jahren, das Kögler gerade erst erreicht hatte, sondern auch die Gewißheit wissenschaftlicher und moralischer Tüchtigkeit nebst einer zehnjährigen Zugehörigkeit zum Orden. Kögler gelobte noch einmal feierlich Armut, Keuschheit und Gehorsam und verpflichtete sich in einem besonderen Gelübde, gehorsam gegenüber dem Papst zu sein und seinen Sendungsauftrag bereitwillig auszuführen.

Nach nur knapp zwei Jahren an der Universität in Ingolstadt wurde Kögler nach Rottenburg versetzt, wo am 8. Juni 1715 sein Wunsch, in die überseeischen Missionen zu gehen, erhört wurde: Die Ordens­leitung in Rom teilte dem Provinzial der oberdeutschen Provinz Joseph Preiß mit: «Dem Pater Ignatius Kögler, der schon früher mit heißer Sehnsucht nach den überseeischen Missionen verlangt hat, bietet sich jetzt eine Gelegenheit, seine Wünsche zu erfüllen, da wenigstens zwei in der Mathematik bewanderte Mathematiker verlangt werden. Da derselbe, wie ich nicht zweifle, nicht allein in dieser Wissenschaft, sondern auch anderweitig tüchtig ist, mögen Ew. Hochwürden diesen Pater mit dem Reisegeld bis nach Lissabon und mit an­derem für die Reise Notwendigem versehen und sobald als möglich absenden.»

In den Akten der Oberdeutschen Provinz SJ findet sich eine Kostenzusammenstellung für seine Reiseausstattung nach Lissabon. Die Ausrüstungsgegenstände waren wahrlich bescheiden: Ein Talar aus Tuch, Leinenwäsche, ein baumwollenes Nachtgewand, ein Halstuch, ein Reisekoffer, eine kleinere Tasche und etwas Reisegeld. Kögler quittierte den Empfang seiner sieben Sachen am 21. Juli 1715. Dann wird er sich auf den Weg gemacht haben. Lissabon sollte nur eine Zwischenstation auf einer langen und beschwerlichen Reise sein. China, war das eigentliche Ziel, das Einsatzgebiet Köglers. Er sollte niemals von dort zurückkehren.

 

Die Riten

Aber warum China? Warum schickte die Ordensleitung ihn - die Missionare selbst hatten dabei kaum ein Mitspracherecht - dorthin und nicht irgendwo anders in die Welt? Es gab zwei gute Gründe. Einerseits Köglers besondere wissenschaftliche Eignung, war er doch Mathematiker und Astronom, welche in China händeringend gesucht wurden. Der andere Grund lag in der besonderen Bedeutung Chinas, deren Ursprung in die Anfänge der Jesuitenmission zurückreicht.

Mehr als dreißig Jahre nach dem Tod von Francisco Xavier SJ gelang es Matteo Ricci SJ mit der von Alessandro Valignano SJ empfohlenen Akkomodationsmethode in China Fuß zu fassen. Mit der Verbreitung wissenschaftlicher und religiöser Werke wuchs das Ansehen Riccis, daß es ihm erlaubt wurde, sich in Peking niederzulassen. Der Versuch, das Christentum in die Kultur des Landes zu integrieren, schien Früchte zu tragen, als es gelang, hochstehende chinesische Persönlichkeiten als Konvertiten zu gewinnen. Und plötzlich offenbarte sich der Zentrale in Rom eine nahezu unendliche Anzahl neuzugewinnener Christen einer hochstehenden Kultur. Den Konvertiten erleichterten die Jesuiten den Zugang zum Christentum, indem Ricci und seine Gefolgsleute chinesische Bräuche, die sogenannten chinesischen Riten, unter Einschränkungen ak­zeptierten.

Im Lauf der Jahre öffneten die wissenschaftlichen Qualifikationen der Missionare ihnen die Türen zum Kaiserpalast in Peking, was schließlich dazu führte, daß mehr und mehr Europäer als Hofmissionare beschäftigt wurden. Johann Adam Schall von Bell SJ wurde 1644 als erster von ihnen Direktor am Kaiserlichen Astronomischen Amt, andere sollten ihm folgen. Sie vermaßen das Land, sie spielten für den Kaiser am Spinett oder konstruierten seine Prachtbauten. Es gab Ärzte, Uhrmacher und Maler unter ihnen, und alle hofften, daß ihre Kunst den Kaiser dazu bewegen würde, zum Christentum zu konvertieren.

Als nach dem Sturz der Ming-Dynastie Kangxi 1662 als zweiter Mandschu-Kaiser den Drachenthron bestieg, wurde damit die goldene Zeit der Mission in China eingeleitet, die 1692 mit dem Toleranzedikt ihren Höhepunkt erreichte. Die damit eingeleitete Blüte des Christentums war allerdings nur von kurzer Dauer. Bereits 1693 bekam der Ritenstreit durch eine Schrift von Charles Maigrot, dem apostolischen Vikar der Provinz Fujian, neuen Zündstoff, daß der Papst zu handeln veranlaßt war und 1704 und 1710 Bullen erließ, die die Riten verbieten und den Ritenstreit beenden sollten.

Währenddessen entwickelte sich in Europa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts durch die Berichte der Missionare und durch die Werke von Athanasius Kircher SJ und Gottfried W. Leibniz eine Art Chinabegeisterung, die dazu führte, daß man begann, sich ernsthaft für China zu interessieren. Die Kirche glaubte in dieser Euphorie zeitweilig, kurz vor der Bekehrung des gesamten chinesischen Reiches zu stehen. Im Zuge dieser gesellschaftlichen und kirchlichen Chinabegeisterung wurden mehr und mehr Missionare nach China gesandt. Einer von diesen war der Landsberger Ignaz Kögler.

Als er Deutschland 1715 verließ, war diese Chinabegeisterung bereits anachronistisch, das Jahr 1715 war ein entscheidendes Jahr für die Chinamission. Am 19. März hatte Papst Clemens XI eine weitere Bulle, die Bulle „Ex illa die“, erlassen, um damit den Ritenstreit definitiv zu beenden: Die zuvor ge­troffenen Verbote in der Frage der chinesischen Riten von 1704 und 1710 wurden bestätigt, und kein Missionar durfte in China tätig sein, bevor er nicht den Eid abgelegt hatte, diese Verbote zu beachten.

Der Streit um die chinesischen Riten war fast genauso alt wie die Chinamission selbst. Im wesentlichen konzentrierte er sich auf zwei Punkte: Den Ahnenkult und die Konfuziusverehrung. Sollte man den chinesischen Christen die Ahnen- und Konfuziusverehrung gestatten, oder waren die Opferrituale und Zeremonien vor den Ahnentäfelchen im christlichen Sinne als häretisch und abergläubisch zu bewerten?

 In vielen Zeremonien waren Ahnenkult und Konfuzianismus verschmol­zen. Die Ahnen wurden über Generationen hinweg pflichtbewußt verehrt, einem Verstorbenen zu Ehren wurde Weihrauch angezündet und Konfuzius wurde durch den Bau von Tempeln geehrt. Inwieweit reli­giöser Kult dabei eine Rolle spielte, hat sich nie feststellen lassen. Eine solche Fragestellung war eben auch europäisch und nicht chinesisch. Für die Chinesen waren diese Zeremonien Bestandteil längstbestehender Ordnungen und gehörten zu den überlieferten Traditionen. In einer Anmerkung zu einer Schriftensammlung heißt es 1628, im dem Jahr, als eine erste Konferenz in der Riten­frage notwendig wurde: «Wenn sie aber verlangen, die Leute sollen den Herrn des Himmels als ihren nächsten Verwandten ansehen und Vater und Mutter verlassen, ihren Herrscher und ihre Vorgesetzten ins zweite Glied zurückstellen und die Leitung des Staates denen anvertrauen, die von der Lehre vom Herrn des Himmels künden, so ist das ein noch nie dagewesener Anschlag auf längstbestehende Ordnungen.»

 Innerhalb dieser Auseinandersetzung war die Frage der Terminologie von großer Bedeutung. Die chinesische Sprache selbst verformte die christliche Botschaft, sie gab ihr einen nichtchristlichen, chinesischen Beiklang. Aber sie war unumgänglich, wollte man die breiten Massen missionieren. Wie sollte man Auferstehung benennen, ohne daß die buddhistisch beeinflußten Chinesen Seelenwanderung oder Wiedergeburt darunter verstanden? Wie sollte man Sünde definieren, wenn man diesen Begriff doch erst vom Terminus Straftat abgrenzen mußte? Zentral in der Frage der Terminologie war die Bezeichnung für Gott. Für christliche Theologen eine ungemein wichtige Frage, wollte man die Reinheit des Christentums bewahren. War das chinesische „Tien“, das auch „Himmel“ bedeutete, oder „Shangdi“, das das höchste Wesen auch im ganz profanen Sinne bezeichnete, zu erlauben oder durfte nur allein „Tian zhu“, der Herr des Himmels, als Gottesbezeichnung Gültigkeit haben?

So aufgeschlossen und tolerant viele der Missionare waren, sie konnten die ethnozentrische Weltanschauung ihrer Zeit nicht ablegen. Sie war ihnen nicht einmal bewußt. Überzeugt von der Überlegenheit der eigenen Kultur, versuchten sie die chinesischen Traditionen und die chinesische Gesellschaft von innen her umzuformen. Anfangs hatte man auch Erfolg damit. Gerade die chinesischen Gelehrten zeigten sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts beeindruckt von den wissenschaftlichen Fähigkeiten der Missionare. Die Missionare verstärkten diese intellektuelle Nähe, indem sie die Buddhisten als Götzendiener verdammten und die Nähe zum Konfuzianismus - oft auch in terminologischen Fragen - suchten. Mißverständnisse blieben nicht aus, denn ähnliche oder gar identische sprachliche Ausdrücke verbargen fundamentale inhaltliche Unterschiede.

Als ebenso unterschiedlich erwies sich die Bewertung der Beschäf­tigung mit den Wissenschaften. In Rom waren die Wissenschaftler unter den Jesuiten für China ausgewählt worden, um mit ihrer Hilfe zu missionieren. Die Wissenschaft war Mittel zum Zweck, so daß nahezu alle Missionare Wissenschaftler oder Künstler waren. Den Chinesen mußte die Wissenschaft zwangsläufig als ein fester Bestandteil der „Himmlischen Lehren“, wie sie das Christentum nannten, erscheinen. Es dauerte nicht lang, da erschienen die ersten kritischen Stimmen. 1639 schreibt ein Chinese aus Zhangzhou, dem südlichen Fujian: «Sie helfen Kanonen herstellen und erreichen, daß man sich an ihrer Fertigkeit freut. Sie beten um Regen und machen glauben, sie beherrschen magische Vorgänge. Ihre Uhren, ihre Klavichorde und Fernrohre zeugen von einer Geschicklichkeit, die einen blendet. Sie machen sich Freunde mit dem Gold, das sie im Überfluß haben, und verführen die Leute mit ihrer äußersten Höflichkeit. Aber am liebsten würden sie eigentlich alle Kulte und alle moralischen und philosophischen Tradi­tionen Chinas abschaffen.»

Nach der Ankunft neuer Missionsorden in China wurde neuer Zündstoff in die Kontroverse gebracht. 1645 wurde ein Verbot der Riten durch das Hl. Offizium erreicht, das 1656 wieder aufgehoben wurde. In den folgenden Jahren ruhten die streitenden Parteien keineswegs. Im Gegenteil, der Streit wurde immer heftiger. Daran konnte auch das Toleranzedikt von Kaiser Kangxi im Jahre 1692, das nicht zuletzt auf die Jesuiten zurückging, und zumindest ihren Methoden Erfolg bescheinigte, nichts ändern. Am 26. März 1693 erließ Charles Maigrot MEP sein „Mandatum seu Edictum“, das sich gegen die tolerante Haltung der Jesuiten richtete und durch die päpstlichen Ritendekrete von 1704-1715 bestätigt wurde.In welchem Maße das Ritenverbot gegen das Selbstverständnis und die Weltanschauung der Chinesen verstieß, ist nur schwer zu ermit­teln. Es gibt Schriftstücke, die ein wenig von der Ver­ständnislosigkeit zeigen, mit der die Chinesen diesem Verbot gegenüberstanden. In einer Schrift gegen die Christen heißt es: «Da ist der Mensch, vom Himmel bedacht, getragen von der Erde, beleuchtet von Sonne und Mond, gezeugt von seinem Vater, aufgezogen von seiner Mutter, gelenkt von seinem Herrscher, beraten und beschützt von den Göttern und Geistern - und all diesen soll er überhaupt nicht dankbar sein, sondern seinen ganzen Dank irgendeinem Herrn des Himmels abstatten, den man weder gehört noch gesehen hat.»

Kögler selbst weist in einem Brief an einen seiner Brüder noch auf einen ganz anderen Aspekt im Ritenstreit hin, wenn er schreibt: «Was würde man wohl in Europa dazu sagen, wann [man] die Gebräuche wollte verbieten, welche in der Fastnacht, an S. Martins Tag, bei dem Anfang des Monats Mai und anderen Zeiten in Schwung gehen? Diese ziehen ihren Ursprung ganz gewiß aus der alten Heidenschaft her, und wegen des üblen Gebrauchs, welcher [sich] dabei ein­schleicht, sind sie viel öfter strafmäßig, als die Gebräuche der Chinesen; gleichwohl würde es niemand in Europa dulden wollen, wenn man die so alten Gebräuche unter Bedrohung des geistlichen Banns verbieten und abschaffen sollte.»

Die aufgeklärten und toleranten Worte des Landsbergers be­stärken die Vermutung, daß es um mehr als nur eine Missions­methode ging. Sicherlich stand dabei die Reinheit der christ­lichen Lehre auf dem Spiel, doch offenbarte die ganze Diskussion um die Riten nicht auch realitätsfernes Sendungsbewußtsein der Kurie und auch der Missionare? Daß die Sozialethik von Konfuzius um einiges älter als das Christentum war und sich in China über ungezählte Dynastien bewährt hatte, wurde von der katholischen Kirche nicht wahrgenommen. Rom war weit, und die Missionare, die nach China kamen, sahen das, was sie in Europa zu sehen gelernt hatten. Vieles erschien ihnen fremd, unverständlich, vielleicht auch unheimlich. Wenige nur waren auf das, was sie erwartete, vorbereitet worden. Die fremde Welt der Buddhisten und Daoisten, die unbekannten Tem­pel, Weihrauch und Op­fergaben, der Ahnenkult und die gott­gleiche Verehrung von Konfu­zius - alles war anders, und nichts paßte mehr in die vorgegeben Schablonen und Muster.

Die sicherste Antwort auf die Riten war demnach ihre Ablehnung, und damit ihr Verbot. So schien es gewähr­leistet, das Christentum reinzuerhalten. Man dachte zunächst daran, nur wenige, dafür überzeugte und einflußreiche Christen zu ge­winnen. Aber gerade da­bei erwies sich ein Verbot der Riten als hinderlich: In einer kon­fuzianistisch geprägten Gesellschaft verwehrte ein Verbot der Riten einem akademischen Be­amten den Zugang zum Christentum und einem Christen den Zu­gang zur Gelehrtenwelt. Es schloß sich gegen­seitig aus und grenzte die Möglichkeiten eines fruchtbaren Austausches stark ein. Die Missionare sollten es merken: Die Zahl der getauften Intellektuellen nahm ständig ab. Durch das Ritenverbot wurde der Missionsmethode der Jesuiten der Boden entzogen, und es blieb einzig die Hoffnung, den Kaiser selbst zu bekehren. Knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung der Ritenverbote in China, im Herbst 1717, beschreibt Kögler in einem Brief an einen seiner Brü­der die Tragweite der erneuten Verbote: «[...] mit blutigen Zähren soll man beweinen, daß so viel mit dem kostbaren Blut Christi erkaufte Seelen von dem Himmel darum müssen ausgeschlossen sein, weil sie von der Not gedrungen den Gesetzen ihres Vaterlandes [...] Gehorsam leisten.»

 

Der Missionar

Doch zurück zu Ignaz Kögler. Es sollten noch zwei aufregende Jahre des Reisens vergehen, bis er jene Zeilen schreiben sollte. Nachdem er Lissabon am 9. Oktober 1715 glücklich und ohne Zwischenfälle erreicht hatte, standen ihm lange Monate des Wartens bevor. Erst am 14. März 1716 setzte die S. Ana, die ihn und dreizehn andere Missionare nach Macao bringen sollte, die Segel.

Am 30. August 1716, nach sechs ereignisreichen Monaten auf See, betrat Kögler in Macao wieder Land. Gleich nach ihrer Ankunft wurden die neuangekommenen Missionare auf ihr Einsatzgebiet eingestimmt. Noch ehe sie im Kolleg waren, hatte man ihnen schon ein chinesisches Gewand ange­messen und wenige Tage später wurden ihnen die Haare nach Sitte des Landes ge­schnitten. Kaum hatte der Vizekönig von Kanton von der An­kunft der Missionare erfahren, ließ er Kögler und seinen Ordensbruder Slaviczek durch einen Mandarin, den sie bereits in ihren chinesi­schen Gewändern und nach Landessitte begrüßten, nach Kanton bringen.

Die neuangekommenen Missionare begannen in Kanton sogleich mit dem Erlernen der chinesischen Sprache und zwar in einer Weise, wie Slaviczek schreibt, daß ihnen die Zeit zu allem übrigen fehlte. Die Abreise nach Peking verzögerte sich be­trächtlich, so daß die Missionare ungewollt auch eine Lektion in ostasiatischer Lebensanschauung erhielten. Erst am 9. No­vember brach der Troß, dafür in Begleitung eines kaiserlichen Mandarins, auf.

Heute sind es mit dem Zug nicht mehr als sechsunddreißig Stunden von Kanton nach Peking. Im Jahre 1716 war es eine Reise von knapp acht Wochen. Während der ganzen Zeit hatten die Missionare unter der scharfen Kälte zu leiden, die den nordchinesischen Win­ter kennzeichnet. Am 2. Januar 1717 erreichten sie Peking.

Die Vermutung, daß Kögler deswegen einreisen durfte, weil er als Astronom und Mathematiker angemeldet worden war - andere Missio­nare wurden in Kanton festgehalten - wird durch seine eigenen Zeilen unterstützt: «Endlich am 2. Januar sind wir zu Peking ankommen, jedoch nicht in die Wohnung unserer Patrum, sondern in einen kaiserlichen Hof, beiläufig ein Stunde von Peking entlegen, geführt worden. Alldort sind wir 8 Tage verblieben, unter welcher Zeit der dritte kaiserliche Prinz uns unterschiedliche mathe­matische Fragen vorgetragen, bis endlich auf Befehl des Kaisers [...] uns erlaubt wurde, unsere eigene Wohnung in der Stadt Peking zu beziehen.»

„Die eigene Wohnung in der Stadt Peking“ - das war das Kolleg bei der Südkirche, eine der Residenzen, die im Lauf der Zeit von den Missionaren erworben oder errichtet worden waren. Sie ging direkt auf Johann Adam Schall von Bell SJ zurück und war das größte Jesuitenkolleg. Die Südkirche gehörte zur portugiesischen Vizeprovinz und wurde daher auch „Portugiesische Kirche“ genannt. In ihr befand sich der Hauptsitz der Jesuitenmission in China.

t_ostkirche.jpgDie Ostkirche gehörte ebenso zur portugiesischen Vizeprovinz und war 1662 mit Hilfe einer chinesischen Prin­zessin un­weit des Kaiserpalastes erbaut worden. Vier Jahre später, nach dem Tod von Johann Adam Schall von Bell SJ, über­nahm Ferdinand Verbiest SJ die portugiesische Residenz und ließ Teile davon zu einer Kirche umbauen. Da fast ausschließlich Nichtportugiesen, also vornehm­lich Italiener, Belgier, Österreicher und Deutsche dort wohnten, wurde die Ostkirche auch „Deutsche Kirche“ genannt. Kögler und auch Slaviczek sollten später dorthin gehen.

Am 7. Februar 1717 mußten sich Slaviczek und Kögler einer weiteren mathematischen Prüfung unterziehen, die diesmal vom Kaiser und seinem drittgeborenem Sohn vorgenommen wurde. Offensicht­lich ver­lief auch diese Prüfung zufriedenstellend, worauf Kögler nach Deutschland schreibt, daß durch die Göttliche Vorsichtigkeit nach einer Reise von ungefähr 5000 Meilen das vorgesetzte Ziel endlich erreicht wäre. Er sollte diese Stadt nie wieder verlassen. Für die rest­lichen knapp dreißig Jahre seines Lebens blieb Kögler in Peking, der Hauptstadt des Nordens.

In jenen Wochen herrschte in der Mission Verwirrung und Niedergeschlagenheit. Kurz vor Kögler, am 10. August 1716, waren auf englischen Schiffen die ersten Exemplare der Bulle „Ex illa die“ in China angekommen. Die Jesuiten in Kanton, in deren Hände vereinzelte Exemplare gelangten, informierten daraufhin ihre Mit­brüder am Kaiserhof, während Giuseppe Ceru, Prokurator der Propa­ganda-Mission, unverzüglich einige Exemplare nach Peking zu Bi­schof Bernadino della Chiesa OFM schicken ließ. Kilian Stumpf, der Visitator der Jesuitenmission, informierte alle seine Mitbrüder in einem Rundschreiben vom 16. Oktober 1716 von der Bulle und verpflichtete sie gemäß ihrem Gelübde zu unbedingtem Gehorsam. Er stellte ihnen auch frei, die Mission zu verlassen.

Die Ordensleitung in Rom dokumentierte 1717 folgen­den Zu­stand der Mission in der Vizeprovinz China: Es waren vierzig Missionare unter Portugals Schirmherrschaft dort, von denen sechsunddreißig Priester waren. Zusätzlich waren zweiundfünfzig französische Jesuiten dort, daß sich die Ge­samtzahl auf achtundachtzig be­lief. Die Zahl der chinesischen Christen zu jener Zeit schwankt in den verschiedenen Quellen beträchtlich. Im Jahre 1705 soll es an die dreihunderttausend gegeben haben, womit im Jahre 1717 sicher­lich nicht mehr gerechnet werden konnte. So beobachtet Kögler: «[...], denn wo vorher tausend Christen zum Empfang der heiligen Sakramente zusammen kommen, da erscheinen anjetzt kaum zehn, und dieses insgemein nur arme, ungelehrte, schlechte Leute, welche der katholischen Religion bei den stolzen Chinesen kein Ansehen machen können.»

 

Der Neuankömmling

Noch im Jahre seiner Ankunft erhielt Kögler eine leitende Position am Kaiserlichen Astronomischen Amt. Er wurde „Amtsgehülfe“ von Kilian Stumpf SJ, der seit 1711 Direktor dieses Amtes war. Es war eine ehrenhafte und verantwortungsvolle Position, Astronom im Dienste des Kaisers zu sein. Es war auch nicht ganz ungefährlich, denn falsche Berechnungen hatten in China weitreichende Folgen. Wichtigste Lebensgrundlage für das staatliche und bürgerliche Leben war der Kalender, denn nach chinesischer Lebensanschauung mußte sich das Leben im Einklang mit der Natur vollziehen, sonst war großes Unglück zu befürchten. Ein exakter Kalender war also notwendig, um den Wandel auf Erden in Harmonie mit dem Gesetz des Himmels zu bringen. Ein Erdbeben oder eine Finsternis wurde als Zeichen des Himmels verstanden, daß etwas auf der Erde die Har­monie störte. Man kann sich vorstellen, welchen Stellenwert das Naturgeschehen, insbesondere der Verlauf der Himmelskörper, für kulturelle Handlungen hatte und welches vitale Interesse in Regierungskreisen herrschte, im voraus darüber Bescheid zu wissen. Ein exakter Kalender war hinreichende Be­dingung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung - der Himmel war, anders als in Europa, eine Angelegenheit der weltlichen Gewalt.

Die Bestimmung des Kalenders war eine komplizierte Sache. Ihr widmete sich die wichtigste Abteilung des Astronomischen Amtes. Wenn diese schwierigen Berechnungen gemeistert waren, konnte in der zweiten und dritten Unterabteilung auf Grundlage des Plane­tenkalenders der Volkskalender erstellt werden. Den Tagen wurden Geister vorangestellt, die entweder gut oder böse waren, und es wurde vermerkt, ob es passend oder unpassend war, gewisse Handlungen zu vollziehen.

In früheren Dynastien hatten die Chinesen mit Hilfe einfacher In­strumente den Kalender berechnet. Fehler waren bei der kom­plizierten Berechnungsgrundlage und den primitiven Instru­menten nicht zu vermeiden gewesen. Erst die Jesuiten schafften es, durch gering­fügige Veränderungen des Systems und mittels exakterer In­strumente den chinesischen Kalender zu reformieren. Grundlage ih­rer Arbeit waren Fortschritte der europäischen Astronomie. Sie besaßen eine genaue Kenntnis von Algebra und Geo­metrie und waren in der Lage, mit ihren Instrumenten die Him­melsbewegungen exakt zu berechnen. Sie ließen sich ständig über Fortschritte in der euro­päischen Astronomie unterrichten und ermöglichten durch Übersetzungsarbeit ihren chinesischen Mitarbeitern Zugang dazu. 

Als Kögler nach China kam, war Stumpf, der Direktor des Astro­nomischen Amtes, bereits ein schwerkranker und fallender Mann. Seit 1711 Direktor des Kaiserlichen Astro­nomischen Amtes und seit Herbst 1714 Visitator der Vizeprovinz China, war er nicht ohne Einfluß am kaiserlichen Hof gewesen. Mit Beginn seiner Amtszeit als Visitator rückte er in eine Position, in der er im inter­nen Streit unter den Jesuiten um die Figu­risten verstärkt Verant­wortung tragen mußte. Es war gerade hier zu beobachten, daß ideo­logische und nationale Konflikte nicht zu trennen waren. Der Streit, der sich daraus entspann, sollte noch weit über den Tod Stumpfs hinaus andauern. Im Zuge dessen verlor Stumpf seine ein­flußreiche Position nicht nur unter den Missionaren, sondern auch beim chinesischen Kaiser. Dementsprechend bat Stumpf ihn im Fe­bruar 1719, aus gesundheit­lichen Gründen den Dienst quittieren zu dürfen.

Knapp ein Jahr danach erfolgte die Ernennung Köglers zum Nachfol­ger Stumpfs am Kaiserlichen Astronomischen Amt. In dem Ernen­nungsdekret heißt es, daß Kögler eine sehr gute Kenntnis in der Astronomie und Mathematik besäße und in seiner Persön­lichkeit wür­dig und ehrenhaft sei. Es wurde auch darauf hingewiesen, daß Kögler ein Neuankömmling sei, der die mandschu­rische und chinesische Sprache noch nicht beherrschen würde.

Die mangelnden Sprachkenntnisse lassen den Schluß zu, daß Kögler nicht, wie oft angenommen, als Übersetzer während der russischen Is­majlow-Gesandtschaft von 1720/1721 arbeitete. Zwar berichtete er über den Einzug der Russen nach Peking und nahm auch an der Übersetzungszeremonie teil, doch wird das auf Repräsentationsgründe zurückzuführen sein, weil er als Direktor des Astronomischen Amtes eine wichtige Funktion übernommen hatte.

Ebensowenig ist Köglers so oft angeführtes Werk über die Bibel der Juden in Kaifeng, das von Christoph Gottlieb von Murr nach Köglers Tode herausgegeben wurde, ursprünglich von ihm. Zur Begegnung zwischen Juden und Christen war es schon in den Anfängen der katholischen Chinamission gekommen. Dabei trug das jüdische Leben in Kaifeng, das seine Anfänge vermutlich in der Song-Dynastie hatte, zu Beginn des 17. Jahrhunderts bereits stark chinesische Züge. Mischehen waren durchaus nicht unüblich. Die großen Feiertage und die Fastenzeit wurden zwar gemäß des jüdischen Kalenders beachtet, genauso wichtig war aber die Ahnen- und Konfuziusverehrung geworden. Die voranschreitende Assimilie­rung führte dazu, daß die Juden Kaifengs Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr in der Lage waren, Hebräisch zu sprechen. In diesem Zu­stand der Auflösung kam es zur Begegnung zwischen Juden und Chri­sten. Wie viele andere Begegnungen jener Zeit, so war auch diese von Mißverständnissen geprägt.

Besondere Akzente in der Begegnung von Juden und Christen setzten die Figuristen unter den Jesuiten. Sie führten die Anstrengungen, das Christen­tum in eine lange Tradition setzen zu wollen, fort und glaubten einen gemeinsamen Ursprung von Christentum und chinesi­schen Klassikern entdeckt zu haben. Gemäß ihrer figuristischen Auslegung mußte natürlich auch die Bibel der Juden Prophezeiungen enthalten, die das Kommen Christi vorwegnahmen. Und wenn in der Bibel der Juden die Geheimnisse des Christentums versteckt waren, dann war sie das geeignete Mittel, Juden für das Christentum zu gewinnen. Besonderes Gewicht bekam die Bibel der Juden von Kai­feng in diesem Zusammenhang, weil man weithin zu der Über­zeugung gelangt war, daß die Juden bereits in vor- oder zumindest frühchristlicher Zeit nach China gekommen waren. Ihre Bücher mußten also - im Gegensatz zu den nachchristlichen, von denen man annahm, daß sie nach Christi Geburt korrigiert worden waren - unverfälscht sein und damit prophetische Hinweise auf den Messias enthalten. Es dauerte nicht lang, da stand die Bibel der Juden im Mittelpunkt des Interesses der Missionare.

Das Interesse an den Juden in China ist fest mit drei Namen ver­knüpft: Jean Domenge SJ, Antoine Gaubil SJ und Giampaolo Go­zani SJ. Domenge besuchte Kaifeng in den Jahren 1718 und 1719 zum ersten Mal und kehrte 1721 für sieben Monate und 1722 noch einmal für zwei Monate dorthin zurück. Als seine Versuche, die Bi­bel der Juden zu erwerben, sich als ebenso erfolglos wie die Gozanis abzeichneten, soll er versucht haben, Mitglieder der Synagoge zu bestechen. Auch diese Wege führten nicht zum Erfolg. Sein Hebräisch war allerdings so gut, daß er feststellen konnte, daß die von ihm überprüften Passagen mit denen der christlichen Bibel identisch waren. Im August 1721 schrieb Domenge einen Brief aus Kaifeng, in dem er zu Fragen Stellung nahm, die ihm aus Frankreich zugeschickt worden waren. Dieser Brief gelangte in die Hände Köglers, der ihn ins Lateinische übersetzte.

Irgendwie ist das Manuskript Köglers über die Bibel der Juden in die Hände von Christoph Gottlieb von Murr gelangt. Murr wußte, daß Kögler in Peking gewesen war und Hebräisch gelehrt hatte, nur kannte er das Original des Manuskripts nicht. Es lag also nahe, das Manuskript unter Köglers Namen herauszugeben. 1779 erschien die erste Auflage der Notitiae S.S. Bibliorum Judaeorum in Imperio Sinensi. Schon bald nach dem Erscheinen wurden Zweifel an Köglers Urheberschaft laut, denen man nie recht nachging. Erst 1972 wurde der Zusammenhang mit dem Domenge-Brief endgültig nachgewiesen.

t_kaiser.jpgAls Kangxi, kurz bevor Domenge seinen Brief über die Juden von Kaifeng schrieb, im April 1721 sein sechzigstes Regierungsjahr feierte, waren sich die Missionare durchaus bewußt, daß ihre Situation mittlerweile prekär geworden war. Sie waren in ihren Nationalitäten unterein­ander zerworfen, die Zahl der chinesischen Christen ging stark zu­rück, und aus den Provinzen wurden wiederholt Anschuldigungen ge­gen die Missionare laut. Bis dato hatte Kaiser Kangxi zuletzt im­mer eingegriffen und die Missionare vor Verfolgungen geschützt. Als er am 20. Dezember 1722 starb, erkannte Kögler richtig, daß die Missionare mit ihm „jede menschliche Stütze für das Christentum“ verloren.

 

Die Verfolgung

 Unter dem neuen Kaiser Yongzheng wurden andere Akzente in der Po­litik gesetzt. Die Orthodoxie hatte größeren Einfluß, und die Zen­tralasienfrage erlangte gesteigerte Bedeutung. Yongzheng stand dem Lamaismus und allgemeiner dem Buddhismus nahe, sicherlich auch, um Sympathien bei den Völkern Zentralasiens zu erlangen. Es wehte ein neuer Wind in Peking, den die Missionare bald zu spüren bekamen. Schon im ersten Jahr der neuen Regierungsperiode schreibt Kögler: «Der neue Kaiser hat früher mit den Europäern gar nicht verkehrt, achtet sie auch jetzt so wenig, daß er ihren Umgang vermeidet. Keiner von uns hatte bei ihm Audienz; wir sind in der kaiserlichen Burg ganz fremd.» Das sollte für drei Jahre so bleiben.

 Kurz nach dem Amtsantritt begann Yongzheng seine Stellung zu kon­solidieren, indem er Schlüsselpositionen mit Gefolgsleuten be­setzte und seine rivalisierenden Brüder verfolgte. Es sollte sich bald zeigen, daß der einsetzende Konsolidierungsprozeß untrennbar mit dem Schicksal der christlichen Mission in China verknüpft war. Großen Anteil sollten dabei zum Christentum übergetreten Prinzen und der Jesuitenpater Mourao haben, die offensichtlich bei der Thronfolge gegen den neuen Kaiser gearbeitet hatten. Es handelte sich dabei nur bedingt um eine religiöse Angelegenheit, die allerdings nachhaltige Auswirkungen für die Prinzen wie auch die Christen hatte.

Im September 1723 nahm die Christenverfolgung ihren Anfang. Der Vizekönig der Provinzen Fujian und Zhejiang, Manbao, erließ ein Edikt, das den Christen befahl, vom Christentum abzulassen. Das Edikt wurde nach Peking weitergeleitet mit der Forderung, die Kirchen landesweit zu enteignen und die Missionare auszuweisen.

Angesichts der drohenden Verfolgung fehlte es innerhalb der Mis­sion nicht an Schuldzuweisungen. Besonders die beiden Do­minikaner, die in Fujian allenfalls den Anlaß zur Verfolgung geboten hatten, wurden von den Jesuiten für die Verfolgung verantwortlich gemacht. Es spiegelten sich auch hier nur die alten Spannungen zwischen den Orden wider. Es gibt genauso Berichte von Jesuiten, die sich zu anderen Zeiten ähnlicher Frevel schuldig gemacht hatten.

Am 12. Januar 1724 erließ das Tribunal der Riten ein Edikt, das den Forderungen Manbaos folgte: Die Kirchen sollten in öffentliche Gebäude umgewandelt, und den Chinesen sollte es strengstens verboten wer­den, der katholischen Religion zu folgen. Unklar war allein noch die Frage, was mit den Missionaren geschehen sollte. Es war vorgesehen, sie nach Macao auszuwei­sen, was für die Mission ein Katastrophe bedeutet hätte, denn damit wäre der Kommunikationsstrang zwischen Europa und den Missionaren in Peking unterbrochen worden. Kanton war in jenen Jahren die Drehscheibe aller Kommunikation von West nach China. Von dort versorgten die ansässigen Missionare ihre Mitbrüder mit Sendungen, Briefen und Geld aus Europa.

Der Kaiser ließ die Denkschrift von Manbao an Kögler, der als Direktor des Astronomischen Amtes der Ansprechpartner des neuen Kaisers war, und zur Untersuchung an die Behörden der Provinz Guang­dong übergeben. Kögler übergab dem Kaiser daraufhin eine Denkschrift der Jesuiten, in der sie darum baten, gänzlich von der Ausweisung verschont zu werden oder zumindest in Kanton bleiben zu dürfen.

Am 3. Februar 1725 bestätigte das Tribunal der Riten den Vorschlag der Behörden aus Guangdong, die Missionare nicht nach Macao, sondern nach Kanton auszuweisen. Die Missionare, die in Peking lebten, durften bleiben. Innerhalb kurzer Zeit wurden dreißig Missionare aus den Provinzen nach Kanton verbannt. Der christliche Gottesdienst wurde unter Strafe gestellt, die Kirchen wurden in Vorratshäuser und Schulen umgewandelt. Die Verfolgung hatte nun landesweiten Charakter, doch viele der Missionare folgten der Verbannung nicht, Alter oder Krankheit vorschützend. Ein Teil verbarg sich und lebte über Jahre in irgendwelchen Schlupfwinkeln, ein anderer schob die Abreise irgendwie anders hinaus.

Der Beginn der Verfolgungen im Jahr 1723 markierte für die Chinamission den Eintritt in eine neue Phase. Waren die letzten Jahre unter dem Kaiser Kangxi schon deutlich durch restriktive Maß­nahmen und Anklagen gegen die Mission gekennzeichnet, so leitete Yong­zheng mit seinem Verfolgungsedikt ihre letzte Phase ein, die mit dem Verbot des Jesuitenordens 1773 ein (vorübergehendes) Ende finden sollte.

Die letzten fünfzig Jahre bis dahin waren nicht mehr als ein vergeblicher Versuch, die Mission wiederzubeleben. Die vereinzelten Enklaven in der Provinz, in denen Missionare unter Le­bensgefahr Sakramente spendeten und geheime Gottesdienste ab­hielten, ohne Bindung untereinander zu haben, verdienten genausowenig den Namen Mission, wie die wenigen Missionare, die sich in Peking aufhielten. Sie waren seit Beginn der Verfol­gungen weit weniger Missionare als Wissenschaftler. So ist es auch zu verstehen, wenn Kögler 1730 schreibt, daß er von der Betrachtung des Himmels den Geist nicht leicht zu anderem erhoben habe. An Seelsorge war auch kaum zu denken. Der Gemeinde in Peking standen zwar noch genügend Patres zur Verfügung, aber ein öffentliches Bekenntnis zu Gott war unter Todesstrafe verboten. Gottesdienste wurden geheim in Privathäusern abgehalten, vor allem nachdem selbst die Kirchen in Peking vorübergehend geschlossen werden sollten.

In Europa war die Atmosphäre ähnlich angespannt. Man warf den Jesuiten vor, daß sie nicht nur ein Hort von Intriganten seien, son­dern sich zudem schmutziger Machenschaften mit den Chinesen schul­dig gemacht hätten. In Rom hatte man schließlich darauf reagiert, daß die Jesuiten den päpstlichen Ritendekreten so zögerlich gefolgt waren. Dem Ge­neral der Gesellschaft Jesu Nicolo Tamburini wurde vom Papst ein Breve überreicht, das sich gegen die „Ausschreitungen“ und gegen den „Ungehorsam“ der Jesuitenmissionare in China rich­tete.

 

Der Mandarin

In dieser für das Chri­stentum in China schwierigen Zeit wurden Kögler von den Chinesen Ehren erwiesen, wie sie zuvor noch keinem Europäer erteilt worden waren. Ihm wurde seiner Position gemäß ein Titel verliehen: Er wurde zum Direktor des Astrono­mischen Amtes und zum Vizepräsidenten des Tribunals der Riten ernannt. Er war damit Mandarin II. Klasse.

Der neue Ehrentitel „Vizepräsident am Tribunal der Riten“ war eine hohe Auszeichnung, zumal für einen Europäer, und die damit ver­bundene Mandarinswürde war nur wenigen verliehen worden. Es handelte sich bei dieser Auszeichnung um einen Titel, der dem Träger mehr Würde und Ansehen verleihen sollte. Es findet sich nicht ein Hinweis, daß Kögler Sitz oder gar Stimme im Tribu­nal der Riten gehabt hätte. Der Titel be­zeichnete nur den Rang und nicht die Funktion. Seine chinesischen Mitarbeiter empfanden es in ihrer hierarchisch geprägten Gesellschaft ebenso wichtig, endlich einen Vorgesetzten zu haben, dessen Rang entsprechend über den ihren war. Es ersparte ihnen demütigende Situationen. Zweifellos war durch die Ernennung das Ansehen Köglers gewaltig gestiegen, wodurch Kögler in ei­ner Position war, in der er unter Umständen Einfluß nehmen konnte, um Ent­scheidungen im Sinne der Mission zu beein­flussen.

Erst 1726, nach dreijähriger Warte- und Trauerzeit, wurden die Missio­nare zum Kaiser vorgelassen. Nach dem Beginn der Verfolgungen und der Gefangenschaft P. Mouraos SJ bekamen die Hoffnungen der Jesuiten Auftrieb, beim Kaiser direkt Einfluß nehmen zu können, um manches zum Besseren zu wenden. Für Kögler war dies mit vielen Mühen verbunden, denn wegen seiner exponierten Stellung war er zu häufigen Besuchen in der kaiserlichen Sommerresidenz verpflichtet. Da es Pflicht war, vor Sonnenaufgang zu er­scheinen, und man für den Weg vom Kollegium zum Sommerpalast unge­fähr drei Wegstunden rechnen mußte, war das eine ziemliche Belastung. Oft mußten die Missionare dann Stunden auf den Kaiser warten oder wurden gelegentlich auf den nächsten Tag vertröstet. Dann kehrte man erst nach Sonnenuntergang ins Kollegium zurück, um persönlichen Arbeiten oder Pflichten im Ordensleben nachzugehen. Für einen Astrono­men, dessen Arbeitstag erst nach Sonnenuntergang mit den end­losen Beobachtungen der Gestirne am Himmel begann, war das ein aufreibendes Leben.

Es war der Verpflichtungen nicht genug. Zwar scheint Kögler bei der portugiesischen Gesandtschaft unter Metello von 1726 wie auch bei den chinesisch-russischen Friedensverhandlungen von Kjachta im Jahre 1727 ohne größere Aufgaben gewesen zu sein, aber zwei Jahre später, im Jahre 1729, fand das gestiegene Ansehen Köglers auch unter den Jesuiten der Vizeprovinz China seinen Ausdruck: Sie wählten ihn zum Visitator. Gerade in der Vizeprovinz China hatte der Visitator durch die schwierige Lage der Mission, die schlechten Verkehrsbe­dingungen und die daraus resultierenden Kommunikations­probleme zwischen der Zentrale in Rom und der Missi­onsleitung vor Ort besondere Vollmachten.

Als Visitator war Kögler allein dem Generaloberen in Rom verantwortlich. Zweifellos übernahm er mit diesem Amt eine Reihe von Verpflichtungen, die in erster Linie bürokratischer und administrativer Natur waren. Es mußten von ihm Berichte über den Zustand der Mission nach Europa geschickt werden, er sah sich mit wirtschaftlichen Fragen der Mission konfrontiert und trug natürlich auch die Verantwortung für die Mission und die Mis­sionare. Es war ein undankbarer und mühevoller Posten. Als Visitator besaß er zwar Autorität über seine Mitbrüder, man behandelte den Visitator aber eher wie einen Primus inter pares. Welche Schwierigkeiten da­mit verbunden waren, läßt sich an der Amtszeit Kilian Stumpfs ablesen, dem die französischen Mitbrüder gelegentlich die Ergebenheit verweigerten, obwohl nur ein einziger bei der Wahl gegen ihn gestimmt hatte.

Schwierigkeiten solcher Art sind von der vierjährigen Amtszeit Köglers nicht bekannt. Die Mission hatte seit den Verfolgungen von 1723 auch eine ganz andere Qualität bekommen. Die Frage nach Missionsmethoden oder den Riten hatte an Aktualität verloren, und damit hatten die Spannungen unter den Missionaren nachgelassen. Wissenschaftliche oder handwerkliche Fragen gewannen gegenüber theologischen zunehmend an Bedeutung. Der Zustand der Mission hatte sich seit Beginn der Verfolgungen entscheidend verändert. Im Ok­tober 1727 waren noch vierundzwanzig Jesuiten, unter ihnen sechzehn Patres, in Peking. Die Kirchen waren vorübergehend geschlossen worden, die konvertierten Prinzen saßen im Ge­fängnis oder waren tot. In den Provinzen saßen vereinzelt Missionare und hielten sich versteckt. Es sollte noch schlimmer kommen. Am 30. Sep­tember 1730 wurde Peking von ei­nem Erdbeben heimgesucht, das rund einhunderttausend Todesopfer forderte und gewaltige Zerstörungen in der Stadt, darunter die Kirchen und Observatorien der Jesuiten, anrichtete.

«Wir waren alle im Speiseraum», so berichtet Kögler, «und hatten zum Frühstück Platz genommen. Kaum spüren wir den Erdstoß, springen wir auf und wollen flüchten. Da endete das Beben. Aber verworrener Lärm vom Einsturz der Häuser und erbarmenswerte Jammerschreie ertönten von überall her. Vom Kolleg wurde, da Gott gnädig war, niemand getötet, es wurde auch niemand durch Dachziegel verletzt, die in großer Zahl in den Hof fielen, den wir zu erreichen suchten; niemand war einstürzenden Wänden nahe. Allerdings sind bei uns nur wenige Wände eingefallen, weil die meisten gut gebaut sind und Halt haben an den miteinander kräftig verbundenen Balken. Dennoch ist fast jede von Rissen zerschnitten oder weist andere Spuren des heftigen Bebens auf. Das für Beobachtungen bestimmte Türmchen hat der böse Stoß von den Grundfesten her wanken lassen und an den vier Ecken so beschädigt, daß man es abtragen muß, damit nicht sein Einsturz die zwei darunter liegenden Zimmer mit sich reiße. »

Für die Missionare war das Erdbeben ein böses Omen. Die Kir­chen und Gebäude waren schwer beschädigt oder gar zerstört, und ihre Instandsetzung hätte Unsummen an Geld gekostet. Zudem wurden sie einen Monat nach dem Beben vor den Kaiser geladen, der sie zu sittlicherem Verhalten ermahnte. Nach An­sicht der Chinesen war das Beben ein Zeichen des Himmels, um die Menschen in ihrer Nachläs­sigkeit zu strafen. Obwohl der Kaiser unter anderen die Missio­nare für das Unglück verantwortlich machte, überreichte er den Patres Kögler und Parrenin tausend Tael, um die Schäden an den Gebäuden zu behe­ben. 

Wenn diese finanzielle Zuwendung bei einigen Missionaren vielleicht noch einmal die Hoffnung weckte, den Kaiser letztend­lich doch für das Christentum zu gewinnen, so sollte diese Hoffnung bald wieder einer entmutigenden Realität weichen. Am 18. August mußten die nach Kanton verbannten Missionare endgültig in die Ver­bannung nach Macao gehen. Der Beschluß wurde unverzüglich in die Tat umgesetzt. In der Nacht vom 23. vom 24. August 1732 kamen dreißig Missionare in Macao an.

 

Der Astronom

Während das Christentum in China zunehmenden Verfolgungen ausgesetzt war, blieben die Missionare, die in kaiserlichen Diensten standen, unbehelligt oder wurden, wie in Köglers Fall, sogar gefördert. Prinzipiell entsprach das der letzten Konsequenz der jesuitischen Missionsmethode, Wissenschaft und Künste als Mittel zur Christianisierung des chinesischen Reiches zu benutzen, nur er­fuhr diese Methode seit dem Beginn der Verfolgungen ihre Um­kehrung durch die Chinesen: Das Mittel war zum Zweck geworden, und die Missionare zu reinen Wissenschaftlern und Künstlern.

Es stellt sich die Frage, was Kögler in den dreißig Jahren seiner Tätigkeit als Astronom in China ge­macht hat. Gleich nach seinem Eintreffen in Peking war er ans Astronomische Amt berufen worden und hatte schon im September 1717, also im Jahr seiner Ankunft in Peking, die ersten Himmelsbeobachtungen vorgenommen. Weitere Beobachtungen folgten in den nächsten Jahren und wurden nach Europa übermittelt.

Den größten Raum seiner Arbeit wird die alljährliche Kalenderberechnung eingenommen ha­ben. Insbesondere zum Ende eines chinesischen Jahres wurden die Missionare mit Arbeit überhäuft. Die genaue Sonnenbahn mußte berechnet und die astronomischen Tafeln hergestellt werden. Ständig wurde der Kalender überarbeitet, um aufgetretene Fehlerquellen zu beseitigen.

t_observa.jpgDie Arbeitsbedingungen in Peking waren lange nicht so gut gewesen, wie man sich das in Europa vorstellte. Von Kompetenz­streitigkeiten und Schwierigkeiten mit den chinesischen Mit­arbeitern einmal ganz abgesehen, scheint das Observatorium in Peking nicht so gut wie sein Ruf gewesen zu sein. Die Instrumente waren zwar von Verbiest und Stumpf nach Vorbildern von Tycho Brahe den wissenschaftlichen Erkenntnissen angeglichen worden, doch mangelte es dem Observato­rium an technischen Geräten wie genauen Uhren und Ferngläsern, so daß Kögler nur selten zu Beobachtungen dorthin ging. Und wenn er einmal den Weg auf sich nahm, mußte er sich mit technischen Ge­räten des Kollegs ausstatten und setzte sich der Gefahr aus, von chinesischen Mitar­beiten gestört zu werden. So kann man davon ausgehen, daß Kögler einige seiner Beobachtungen am kleinen Observatorium des eigenen Kolleg durchführte. In Köglers Besitz, in seinem Zimmer, befand sich eine Reihe astronomischer Geräte, unter ihnen auch mehrere automatische Uhren, die es ihm das eine oder andere Mal ermöglichten, auf den mühsamen Weg zum Observatorium zu verzichten.

Neben umfangreichen chinesischen Werken gaben Kögler und seine Mitarbeiter auch in Europa eine Reihe von Berech­nungen und Beobachtungen heraus, die ihnen nicht nur einen hervorragenden Ruf in astronomischen Zirkeln einbrachten, son­dern darüber hinaus interes­sante Korrespondenzen ermöglichten. Genannt seien hier nur die 1745 in Lucca erschienene Scienta Eclipsium und die 1768 in Wien herausgegebenen Observationes astronomicae. Weitere Beobachtungen und Berechnungen Köglers wurden in den „Observations mathématiques“ von P. Souciet SJ und in den „Memoires de Trévoux“ herausgegeben.

Es war Nicasius Grammatici SJ, der Kögler 1720 auf den Lehrstuhl für Mathematik in Ingolstadt gefolgt war, der die Verbindung zu einem namhaften Astronom und Wissenschaftler, Joseph Nicolas Delisle von der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg herstellte. Es etablierte sich nach 1730 ein kleiner astronomischer Zirkel, bestehend aus Gaubil, Souciet, Delisle, Grammatici und Kögler, der in einzelnen Verbindungen bis 1758 Aufrecht erhalten wurde.

Köglers Wirken über die Grenzen Chinas hinaus blieb nicht auf Eu­ropa begrenzt. Unvermutet findet sich sein Name in einer Inschrift auf einer spanischen Wand im Königspalast der Yi-Dynastie in Seoul (Korea) wieder. Die Wand wird auf 1755-1760 datiert und enthält neben einer traditionellen koreanischen Planisphäre von 1395 zwei jesuitische von 1757. Darüber hinaus ist eine Sternenkarte skiz­ziert, und es befinden sich zwei Inschriften auf der Wand, wobei Köglers Name in einer von ih­nen auftaucht.

Konnte Kögler auch während der dreißiger und vier­ziger Jahre des 18. Jahrhunderts einen Großteil dieser astronomischen Arbeiten abschließen, so war es doch eine schwierige Zeit für den Landsberger. Zwar hatte er seinen Schlaganfall, der ihn zu Beginn des Jahres 1724 für drei Monate gelähmt hatte, offenbar gut überstanden, doch schon 1730 bemerkte er vermeintlich altersbedingte Todesboten. Er litt an Gicht, konnte ohne Hilfe einer Brille nicht mehr richtig sehen und 1735 fühlte er sein Ende nahen: «Mir verursacht mein altes, eingewurzeltes Steinleiden sehr große Schwachheiten, welche mir das nahe Ende meiner irdischen Pilgerschaft deutlich vorhersagen.» Es klingt, als hätte er seine Ablösung erwartet. Drei Monate zuvor war sein langjähriger Gefährte Karl Slaviczek, den in den letzten Jahren das Klima am Hofe und im Reich geradezu angewidert hatte, und der am liebsten nach Prag zurückgekehrt wäre, gestorben.

In jenen Wochen bestieg der neue Kaiser Qianlong den Drachenthron, ohne daß sich die damit verbundenen Hoffnungen der Missionare erfüllen sollten. Das Leben in Peking war weiterhin geprägt von Anklagen und Beschuldi­gungen gegen das Christentum, die für die Missionare in Peking jedesmal existentiellen Charakter hatten.

Am 10. Oktober 1741 wurde Kögler noch einmal für vier Jahre zum Visitator gewählt. Noch einmal wurde er die Adresse für die Klagen und Hilfegesuche aus den Provinzen, vor allem als am 14. Juli 1742 definitiv die chinesischen Riten durch Papst Benedikt XIV. mit der Bulle „Ex quo singulari“ verdammt wurden.

Man nahm die Nachricht in Peking lange nicht mehr so nieder­geschlagen auf wie noch 1716. Es hatte sich vieles geändert. Dem Papst zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, war die Annahme der Bulle nur Formsache. Einer der Jesuiten schreibt lapidar nach Europa: «Und wirklich leidet die Sache bei weitem jene Schwierigkeiten nicht mehr, wie ehedem, da die chinesische Christenheit gegenwärtig beinahe aus lauter armen Leuten bestehet, welche kaum eine Nahrung und Wohnung haben, geschweige, daß sie ihren Vorältern die gewöhnlichen Gaben entrichten, oder zu diesem Ende besondere Gebäude aufführen könnten.»

Kurz vor seinem Tode krönte Kögler sein Lebenswerk und schuf auf dem Observatorium in Peking eine große Armillarsphäre, die die Er­kenntnisse westlicher Astronomie mit der chinesischen Tradition verbinden konnte. Die Armillarsphäre war eine Äqua­torialarmille, bei der der Zeitpunkt und der Ort der Messung keine Rolle mehr spielte.

t_grab.jpgEs war nicht die schon 1735 angedeutete Krankheit, die Kögler letztendlich von seiner „irdischen Pilgerfahrt“ erlöste. Ein Schlaganfall setzte seinem Leben im Jahre 1746, dem fünf­zigsten Jahre seiner Zugehörigkeit zur Gesellschaft Jesu, jäh ein Ende. Ein mühsames Leben fand ein Ende, eines, das drei Herren zu gehorchen hatte: dem General der Jesuiten, dem Papst und dem Kaiser von China. Es war ein Leben, das niemals wirklich das Leben des Ignaz Kögler war. Vielleicht war das der Preis für ein bedeutendes Leben, denn Ignaz Kögler war ein be­deutender Mann gewesen, der zwar fest in seiner geistigen Welt verwurzelt war, der jedoch durch seine Funktion am Astronomischen Amt zu ei­nem Kultur­vermittler ersten Ranges wurde. Denn Mathematik war im Gegensatz zu philosophischen oder religiösen Denkgebäuden überprüfbar, sie war weder westlich noch östlich, sie konnte sachlich diskutiert und schließlich angewendet werden.


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